Tiny Chapel Weddings
Unterwegs mit dem Hochzeits-Truck Ein amerikanischer Pastor reist mit seiner winzigen Kapelle auf Rädern zu seinen Brautpaaren.
By Barbara Klingbacher
As printed in "NZZ" November, 2015
Eigentlich waren Bil Malbons Pläne gross. Der Staatsangestellte aus dem amerikanischen Richmond, Virginia, amtete seit 1992 nebenamtlich als Pfarrer einer Baptistenkirche; nach seiner Pensionierung wollte er seine Berufung zum Beruf machen. Er träumte von einer Hochzeitskapelle. Geräumig sollte sie sein, mit Platz für zweihundert Gäste, so dass man hin und wieder sogar zwei Hochzeitsgesellschaften gleichzeitig empfangen könnte. Malbon erstellte einen Businessplan und begann, nach Investoren zu suchen. Dann kam die Finanzkrise. Die Menschen in Virginia schnallten die Gürtel enger, planten die Feste bescheidener; Malbons Wunschkapelle war überdimensioniert, noch bevor sie gebaut worden war. Und das war wohl sein Glück. Fünf Jahre später schrumpfte Bil Malbon seinen Traum und stellte ihn auf Räder. Er war 2013 auf die «Tiny House»-Bewegung aufmerksam geworden, die den Bau von kleineren, sehr kleinen und geradezu winzigen Häusern propagiert. Das «downsizing» verringert nicht nur die Kosten, es ist auch umweltschonender – und weil manche der Gebäude Räder haben, können die Bewohner sogar umziehen, ohne ihr Haus zu verlassen. Während sich Malbon also eine Website mit solchen Häuschen anschaute, kam er auf die Idee. Die meisten Paare, die er inzwischen traute, wünschten eine kleine, günstige Zeremonie. Warum also nicht eine kleine, günstige Kapelle bauen? Und warum sollte immer die Hochzeitsgesellschaft zur Kapelle reisen, wenn man stattdessen die Kapelle zur Hochzeitsgesellschaft bringen konnte? Schliesslich wäre es für die Paare praktisch und billiger, wenn die Zeremonie – und der Empfang danach – im eigenen Garten oder auf dem eigenen Farmland stattfinden könnte. Malbon wandte sich an «Build Tiny», eine kleine Firma, die sich auf den Bau kleiner Häuser spezialisiert hat; dort war man von der Idee einer fahrbaren Hochzeitskapelle begeistert. Genau zu Weihnachten 2014 war die Minikapelle fertig. Sie ist gut sieben Meter lang und etwa drei Meter breit, hat ein Satteldach, drei Spitzfenster auf jeder Seite und eine winzige Veranda. Als das diffizilste Element hatte sich der Kirchturm erwiesen, der auf einer amerikanischen Landkapelle keinesfalls fehlen darf: Er ragte zu hoch auf, als dass man damit auf der Strasse hätte fahren dürfen. Und Bil Malbon – auch schon 60 Jahre alt – wollte nicht jedes Mal aufs Dach klettern, um ihn auf- und wieder abzubauen. Schliesslich fand man eine Lösung: Der Turm wird vor der Zeremonie durch eine Luke aus dem Kirchenraum hinaufgeschoben und fixiert; während der Fahrt ist er im Innern verstaut. Drinnen finden auf zehn Quadratmetern zwanzig Gäste Platz, Schulter an Schulter stehend. Malbon bietet verschiedene «Packages» für seine Hochzeiten oder auch Eheerneuerungsversprechen an. Bei 125 Dollar startet der Preis, wenn ein Paar die Kapelle an ihrem Standplatz in Richmond nutzt; die günstigste «Chapel to go»-Variante kostet 500 Dollar – wenn Mahon die Kirche mit seinem Pick-up nicht weiter als 60 Meilen ziehen muss. Das Geschäft ist gut angelaufen. Bil Malbon hat in den letzten Monaten mehr als zwanzig Paare in seiner Kapelle getraut, auf Ranches, in Parks, in Hinterhöfen oder Gärten. Einmal reiste er mit der Kirche 1100 Kilometer bis nach Chicago. Ein junger Mann überraschte in der «Steve Harvey»-Fernsehshow seine Freundin mit einem Heiratsantrag – und einer Soforthochzeit in der «Tiny Wedding Chapel», die Malbon dafür mitten in der Stadt aufgestellt hatte. Seither häufen sich die Anfragen, von Paaren und von den Medien. Hätte der Pastor die grosse Kirche gebaut, von der er einst geträumt hatte, keine Zeitung und kein Fernsehsender wäre darauf aufmerksam geworden; so aber ist Bil Malbon eine kleine Berühmtheit – als der wohl einzige Hochzeitskapellenlieferdienst der Welt.
Barbara Klingbacher
Gründungsjahr 2014; Anzahl Mitarbeiter: 1 (wobei die Ehefrau mithilft und bei den Fahrten mit der Kapelle eine Freundin dabei ist); Jahresumsatz: keine Angabe; Preise: ab 500 Dollar, wenn die Hochzeit im Radius von 60 Meilen rund um Richmond stattfindet, ab 1500 Dollar für Hochzeiten ausserhalb des Staates Virginia.
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